Pressebericht – Ortsbegehung am Gelände für die geplante Erweiterung des Pharmastandortes Görzhausen (GH)
Am frühen Donnerstagabend versammelten sich ca. 50 Bürgerinnen und Bürger der umliegenden Ortschaften an den Äckern, die noch zwischen dem Marsgelände des Pharmastandortes GH II und Dagobertshausen liegen, aber vom Magistrat der Stadt Marburg zur Bebauung mit Pharmaindustrie im Regionalplan Hessen angemeldet werden sollen. Eingeladen hatten die Naturschutzverbände NABU-Marburg und BUND Marburg-Biedenkopf sowie die Stadtteilinitiative Leben und Wohnen in Dagobertshausen in Verbindung mit der Bürgerinitiative Kein GH IV – stopp den Flächenverbrauch! e.V. An drei Stationen entlang des Geländes in Richtung Dagobertshausen wurden Stellungnahmen der Einladenden vorgetragen und diskutiert. In allen Statements wurde angemahnt, dass mit der „übernächsten“ Erweiterung des Pharmastandortes in einer Größe von 24ha ein unverantwortlicher Raubbau an den regionalen natürlichen Ressourcen Boden, Mikroklima und Wasser betrieben werde. Dies geschehe zudem auf Kosten der Lebensqualität künftiger Generationen und schon jetzt der Anwohner in den nächstgelegenen Dörfern sowie mit negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt in der Region. In erschreckender Weise werde in Zeiten des Klimawandels, der schon fast wöchentlich zu Fällen von Extremwetterlagen mit verheerenden Folgen für menschliche Siedlungsgebiete führe, seitens einer Stadt, die gleichzeitig den Klimanotstand ausgerufen hat, eine derart massive Flächenversiegelung in einer Region des Westmarburger Landes geplant.
Dr. Wilhelm Richebächer als Sprecher der BI Kein Görzhausen IV gab im Blick auf diese langfristig geplante Flächenversiegelung zu bedenken: Bei Annahme des Antrags der Stadt Marburg würden allein auf Görzhausen 57,8 ha Vorrangfläche für Industrie und Gewerbe entfallen. Damit könnten in den nächsten fünfzehn Jahren mehr Flächen in Görzhausen bebaut und weitgehend versiegelt werden als in den zurückliegenden fünfzig. Allein in der Michelbacher Gemarkung seien in den letzten vierzig Jahren ertragssichernde Ackerböden mit besonderer Funktion für Klima und Grundwasser um ca. 80ha verloren gegangen. An dies gelte es in Zeiten, in denen die Klimaanalyse der Stadt Marburg für Talsohlen wie das alte landwirtschaftliche Michelbach sowohl ein Überhitzungsgebiet als auch ein potenziell hochgradiges Überschwemmungsgebiet bei Starkregenfällen festgestellt habe, zu erinnern und im Interesse der Lebensbedingungen von Mensch und Schöpfung dringend Einhalt zu gebieten.
Er berichtete auch, dass der aus Bürgern und Bürgerinnen von Michelbach, Dagobertshausen und Lahntal bisher bestehenden Bürgerinitiative die Blockierung von wirtschaftlichem Fortschritt vorgeworfen werde. Aufgrund der in der weltweiten Völkergemeinschaft wie auch der internationalen Wissenschaft bekannten Tatsachen von Ressourcenbegrenztheit und Klimabedrohung könne wirklicher Fortschritt aber nicht mehr nach dem Motto „Immer mehr vom selben…“ erreicht werden, sondern nur dann, wenn regional wie international bei Umsetzungen von Bauvorhaben definitive Grenzen beachtet und die Bedingungen gesunden Lebens für Schöpfung und Mensch einbezogen würden.
Gemeinsam wiesen die Träger der Veranstaltung auf die ungelöste Verkehrsproblematik hin, welche durch ein unbegrenztes Industrie- und Gewerbewachstum drohe. Man befürchte die Wiederkehr von bereits seitens der Bürgerschaften abgelehnten Konzepten einer Westumfahrung der engen Verkehrswege durch die Stadt sowie einer Nordumfahrung um Wehrda über den Waldrücken bei Michelbach nach GH. Auch sei im Fall der Umsetzung der geplanten interkommunalen Pharmaerweiterung ins Lahntal eine verkehrliche Erstickung von Ortschaften wie Sterzhausen zu erwarten, für die es keine Alternativen zur Ortsdurchfahrt des ansteigenden Verkehrs auf der B 62 zu geben scheine.
In einer Begehungsstation nächstens zur Ortschaft Dagobertshausen wies Ute Göbel-Lehnert mit Nachdruck darauf hin, welch gravierender Strukturwandel in ihrem Wohnort in der jüngeren Vergangenheit bereits durch die Expansion des Freizeitgewerbes stattgefunden habe. Eine Planumsetzung von GH IV würde schließlich dazu führen, dass in einem Ort von nur 360 Einwohnern und Einwohnerinnen ca. 44ha Gewerbe- und Industriegebiet 17ha Wohngebiet gegenüberstünden. Das überbordende Industriegebiet würde bis auf 43 Meter an das Wohngebiet heranreichen. Es stehe auch zu befürchten, dass der seitens der Stadt zugesagte Grünzäsur-Streifen am südwestlichen Ende von GH IV aufgrund seiner Nähe zur Wohnsiedlung und seiner Lage gerade keinen Abschirmschutz gegenüber Emissionen bieten würde und zusätzlich noch vitale Luftstrombahnen blockiere.